Aikido
Was ist Aikido? Es gibt viele gute Erklärungen und Definitionen, was Aikido ist: eine Schule für Körper und Geist, eine Charakterschulung, eine Kampfkunst, eine Kriegskunst, ein Erziehungssystem für einen sozialen Umgang miteinander,… Alle diese genannten Ansichten sind richtig, wir wollen hier an dieser Stelle aber etwas genauer darauf eingehen, was Aikido für uns, für den Verein Aiki-no-michi Linz ist: eine Kampfkunst zur Persönlichkeitsentwicklung. Diese Sichtweise ist natürlich geprägt von unseren eigenen Erfahrungen, von unseren Lehrern und von unserer eigenen Entwicklung.
Unser Lehrer, Christian Tissier Sensei, hat in einem Interview gemeint:
„... it´s a way to learn how to face a problem.“
Sehen wir uns im ersten Schritt die einzelnen Silben des Wortes Ai-ki-do an:
Ai … Harmonie in der Bedeutung von Zusammenpassen
Ki … Lebensenergie, Kraft
Do … Lebensweg im Sinne von Entwicklung
Ai und Ki darf man aber “übersetzungstechnisch” nicht trennen, die Kombination von diesen beiden Schriftzeichen zu Aiki kann man mit “Synchronisation” übersetzen. Im kampftechnischen Sinn ist damit eine Synchronisation mit der gegnerischen Kraft oder Angriffsenergie gemeint. Auf menschlicher Ebene kann es aber auch Mitgefühl oder Einfühlungsvermögen bedeuten. Somit lässt sich das Wort Aikido als Weg zur Harmonie (Synchronisation) der Kräfte, Weg der Harmonie mit der Energie des Universums oder Weg der Empathie übersetzenen.
Eine Sache zum Wort „Ai“ sei hier noch angemerkt. Oft wird es mit „Harmonie“ übersetzt; wir dürfen aber nicht davon ausgehen, dass der Begründer des Aikido vor ca. 100 Jahren in Japan das selbe Verständnis von diesem Begriff hatte, wie wir heute in Europa. Heutzutage in der europäischen Kultur denken wir beim Wort Harmonie an Friede, Eintracht oder Einigkeit. Friede und gewaltfreie Konfliktlösung waren Morihei Ueshiba sehr wichtig, und man könnte „Ai“ natürlich auch dahingehend interpretieren (was auch sehr oft gemacht wird).
In der japanischen Kultur steht „Ai“ aber oft für das Zusammenkommen von Elementen die komplementär sind, so wie zwei Zahnräder die ineinandergreifen oder ein Hammer und ein Nagel. Hammer und Nagel sind komplementär, sie können alleine ihre Aufgabe nicht erfüllen. Wenn die beiden aber im richtigen Moment in der richtigen Art und Weise zusammenkommen (so wie der Angriff und die Verteidigung im Aikido), dann wird der Nagel in das Holz getrieben, ohne verbogen zu werden und ohne dabei das Holz zu spalten, nicht zerstörerisch sondern zielgerichtet. Das ist „Ai“.
Auch Kanai Sensei findet dafür sehr klare Worte in seinem Technical Aikido:
"Harmony does not mean just getting along with people on the basis of a lowest common denominator, or creating agreement without regard to rules in order to avoid confrontation and maintain an easy going or overly comfortable environment."
Im zweiten Schritt wollen wir etwas näher darauf eingehen, warum wir, der Aiki-no-michi Linz, Aikido als Kampfkunst zur Persönlichkeitsentwicklung sehen, und warum es im Aikido weder um Kämpfen, noch um Gewinnen oder Verlieren geht.
Zuerst soll aber noch erwähnt werden, dass Aikido nicht das Ziel, sondern der Weg ist. Aikido ist also nur das Mittel um Aufrichtigkeit, Mut, Güte, Glaubwürdigkeit, Höflichkeit, Selbstvertrauen, Präsenz und Loyalität zu erwerben.
Wie kann aber körperliches Training einer Kampfkunst, wie Aikido, den Geist des Menschen kultivieren? Einige Beispiele dazu:
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Durch das Training lernt man kampftechnisch sinnvolle Prioritäten zu setzen. Ist es sinnvoll seine feste und starre Haltung zu bewahren, wenn man dadurch in der Angriffslinie stehen bleibt? Oder ist es besser diese starre Haltung aufzugeben, um unverletzt aus einer gefährlichen Situation auszusteigen? Auch das Leben verlangt von uns immer wieder, dass wir Prioritäten setzen; durch die Übung im Training fällt es leichter zu entscheiden, was es Wert ist, bewahrt zu werden.
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Im Alltag leben wir oft nicht im Hier und Jetzt. Wir lamentieren, dass früher alles besser war oder wir machen uns Sorgen um die Zukunft. Im Aikido-Training findet ein Angriff aber genau hier und jetzt statt, und genau hier und jetzt müssen wir die passende Antwort (in Form einer Aikido-Technik) haben. Regelmäßiges Aikidotraining hilft uns also, dass wir im Augenblick fokussiert, präsent und aufmerksam sind. Diese Fähigkeit im Hier und Jetzt zu handeln und zu leben, wird sich ganz automatisch im Alltag etablieren.
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Um möglichst stabil zu sein, brauchen wir eine aufrechte Haltung. Dieses Prinzip der Körperachse (Seichusen) findet man in jeder Kampfkunst. Diese gute Haltung, die wir im Training verinnerlichen, wird sich automatisch in unseren Alltag einschleichen: wir werden stabiler und aufrichtiger im Leben.
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Im Aikido wird miteinander in kooperativer Weise geübt. Durch dieses miteinander Üben, statt gegeneinander zu kämpfen, steigt das Niveau beider Partner gleichermaßen und sie werden sich gegenseitig mehr fordern können, was wiederum die Grundlage für die weitere Entwicklung ist. Auch im Alltag ist es oft besser eine kooperative Lösung zu suchen (win-win-Situation) und sich gemeinsam zu entwickeln als stur gegeneinander zu kämpfen.
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Ein Angriff ist nur dann gefährlich, wenn der Angreifer in die “persönliche Zone” eindringt und man sich dadurch innerhalb der Reichweite dieses Angriffs befindet. Diese persönliche Zone lernen wir durch das Aikido-Training kennen und wir lernen ebenso, den Partner diese Grenze zur persönlichen Zone nicht überschreiten zu lassen. Genauso lernen wir im Alltag unsere Grenzen zu erkennen, Grenzen bewusst zu setzen und damit auch Selbstvertrauen aufzubauen.
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Durch die Etikette im Aikido-Training erlernen wir Höflichkeit und Respekt und kultivieren unseren Geist.
Aus diesen Beispielen ist ersichtlich warum wir beim Aiki-no-michi Linz Aikido als Kampfkunst zur Persönlichkeitsentwicklung sehen. Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass im Training sehr viel Wert auf die kampftechnisch sinnvolle und korrekte Durchführung der Techniken gelegt wird und, dass die Techniken prinzipiell das Potential haben zu verletzen bzw. auch zu töten.
In seinem Wesen ist Aikido aber eine Kunst der Integration und des Friedens und der Aikidoka lernt technische Mittel, um Angriffe zu neutralisieren, ohne den Angreifer dabei zu verletzen. Aikido ermöglicht somit Empathie und Menschlichkeit sogar noch innerhalb der körperlichen Auseinandersetzung, und mit diesem Konzept ist es ziemlich einzigartig in der Welt der Kampfkünste.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Ethic Charter of Aikido verwiesen, die im Jänner 2015 von Moriteru Ueshiba verfasst wurde.