Entwicklung und Effizienz

Aikido wird von anderen Kampfkünsten oft nicht ganz ernst genommen, weil es “aussieht wie tanzen” und weil es keinen Wettkampf gibt. Wie soll man da feststellen können, ob eine Technik überhaupt funktioniert? “Das ist ja nicht real!”

In ihrem Kern sind die meisten Techniken aber die selben wie im Jiu-Jitsu, Krav Maga, Pencak Silat, Shorinji Kempo, … aus dem einfachen Grund: sie verwenden alle die Biomechanik des menschlichen Körpers. Was in der einen Kampfkunst aufgrund der Biomechanik des menschlichen Körpers funktioniert, das funktioniert auch in jeder anderen. Aikido, dessen Wurzeln im Aiki Jujutsu Daitoryu liegen, verwendet wie andere Kampfkünste die Biomechanik des Körpers. Die Ausführung der Techniken im Aikido ist aber meist weniger aggressiv und der Zugang ist oft ein anderer.

Bezüglich Aikido und Effizienz sei auf einen Artikel von B. Gonzalez verwiesen, der diesbezüglich wesentlich tiefer geht.

Generell muss man natürlich anmerken, dass Aikido-Training nie real ist, wir können uns nur der Realität annähern. Ebenso wie im Aikido ist aber auch das Training in anderen Kampfkünsten, denen man mehr Effektivität zuschreibt (Judo, Karate, Kendo, …) nicht real. Im Judo gibt es keine Schläge, im Karate ist Greifen verboten, im Kendo gibt es Trefferzonen, … was soll daran real sein? Die interessante Frage ist, was wir durch das Training für die Realität lernen, was uns unmittelbar zur Frage bringt: wie soll man überhaupt trainieren?

In verschiedenen Kampfkünsten haben sich unterschiedliche Formen des Lernens etabliert: im Iaido ist z. B. Katatraining mit fixen Abläufen vorherrschend, während es im Judo ein Wettkampftraining gibt. Auch der Wettkampf hat Regeln und ist somit nicht real. Schließlich gibt es noch die Kampfkünste wie z. B. Kendo, die kodokanartig (Kata und Wettkampf) unterrichten. Die Trainingsform im Aikido heißt Jissen Keiko oder Echtkampfübungen. Die Rollen von Uke (Angreifer) und Tori (Verteidiger) sind dabei klar geregelt, die Form der Technik kann aber (je nach Niveau der Übenden) beliebig frei werden. Der Sinn dieser Trainingsmethode ist es die Prinzipien vom Aikido, die sich in den Techniken verbergen, zu erlernen und keine Formen (Kata). Die Techniken sind also nur Mittel zum Zweck.

Je mehr der Wettkampf und die Effizienz einer Kampfkunst im Vordergrund stehen, desto weniger Techniken gibt es in dieser Kampfkunst. Da im Aikido die persönliche Entwicklung im Vordergrund steht, gibt es viele Techniken und sehr viele Variationen dieser Techniken. Anfangs lernt und studiert man die ganze Palette von Techniken aus verschiedensten Angriffen. Die Erkenntnis, dass alle Techniken Gemeinsamkeiten haben, auch wenn es sich um noch so unterschiedliche Techniken handelt, wird immer klarer. Das Gefühl, das sich bei zwei äußerlich noch so unterschiedlich wirkenden Bewegungen einstellt, wird dasselbe werden.

Anfänglich werden die Basis-Techniken aus unterschiedlichen Angriffen in einer unterschiedlichen Art und Weise gelernt und durchgeführt. Das ist nicht real, weil wir vorher wissen müssen, welcher Angriff ausgeführt wird, um die Technik richtig zu machen. Aber aus dieser Vielfalt an Basis-Techniken destilliert sich die Essenz heraus, und wir erlernen schließlich, dass wir bei jedem Angriff gleich reagieren können. Aus der Basis-Technik wurde im Laufe der Zeit eine Applikation, die sehr wohl realen Charakter besitzt. Yamaguchi Sensei pflegte

„Dou demo ii“

zu sagen: „was immer du machst, es ist ok, es wird funktionieren“

Erst aus dieser Freiheit heraus entsteht eine sehr große Effizienz. Dazu benötigt es aber Selbstvertrauen, welches man aber glücklicherweise durch kontinuierliches Aikido-Training gewinnt. Ehrlicherweise muss man aber erwähnen, dass der Weg bis dahin ein langer ist; Effizienz steht im Aikido nicht an erster Stelle.

Was sind aber nun die oben erwähnten Prinzipien im Aikido, die in jeder Technik gleich sind. Die Basisprinzipien sind Achse (Seichusen), Distanz (Ma) und Blick (Metsuke). Eine aufrechte Körperhaltung, die richtige Distanz zum Partner und der Richtige Fokus sind zu Beginn des Lernens essenziell. Darauf baut dann das Prinzip der Technik auf. Das ist das Know-how, das Savoir-faire - wie greife ich an? Wie funktioniert die Technik? Welcher Winkel ist wichtig? Muss ich zuerst den Körper oder den Arm bewegen?

Später kommt noch das Prinzip der Bewahrung der Integrität dazu: sowohl in der Rolle als Uke als auch in der Rolle als Tori sollte ich meine Position stets so wählen, dass mein Partner mich nicht verletzen kann. Kommunikation ist ein sehr wichtiges Prinzip im Aikido, vielleicht sogar das wichtigste. Aiki bedeutet ja Synchronisation, eins werden mit dem Angreifer, verschmelzen mit der Angriffsenergie - wie könnte das ohne Kommunikation - ohne dass ich unvoreingenommen fühle, was mein Partner macht - funktionieren. Zu guter Letzt sei noch die Ökonomie der Bewegung erwähnt. Zum Erlernen von Aikido ist es wichtig, dass man lernt sich gut und richtig zu bewegen. Später müssen diese Bewegungen aber auf das notwendige Minimum reduziert werden, indem man als Tori immer mehr das Zentrum der Bewegung wird. Der Weg bis zu diesem Punkt ist aber ebenfalls wichtig, man darf bzw. kann ihn nicht einfach abkürzen.

Immer wieder stellt sich die Frage: was ist sinnvoll beim Üben? Die vielleicht wichtigste Regel dazu lautet: Trainieren muss möglich sein! Das ist vor allem die Verantwortung des Uke, dessen Aufgabe es ist, den Angriff so zu gestalten, dass Tori üben kann. Die meisten Basis-Übungen sind kampftechnisch wenig bis gar nicht sinnvoll, aber trotzdem für das Erlernen des Aikido notwendig, wichtig und gut. Aus jeder Basis-Technik kann aber im Laufe der Zeit eine Applikation abgeleitet werden, die auch in einer realen Situation funktionieren kann.